Wir leben in einer Zeit des Spezialwissens. Auch in der Tiermedizin gibt es heute für nahezu jedes Symptom eine:n Expert:in - für Haut, Herz, Verhalten oder Hormone. Alles ist erforscht, messbar und behandelbar. Das ist gut. Und in vielen Fällen auch notwendig.
Doch bei all diesem Wissen geht eines oft verloren: der Blick auf das große Ganze.
Der Hundekörper funktioniert nicht in getrennten Einheiten. Er ist ein fein abgestimmtes System, in dem alles miteinander vernetzt ist. Rückkopplungen, Kompensationen, stille Warnzeichen. Was wir als Symptom wahrnehmen, ist oft nur die Spitze eines tiefer liegenden Zusammenhangs.
Ein Beispiel:
Ein Hund leidet über längere Zeit an Verdauungsproblemen. Der Körper reagiert, spart Energie, fährt Funktionen herunter. Auch die Schilddrüse kann in diesem Prozess
betroffen sein, nicht, weil sie krank ist, sondern weil der Organismus Schutzstrategien aktiviert. Ruhe statt Aktivität.
Wenn nun ausschließlich die Schilddrüse behandelt wird, ohne die Darmerkrankung im Blick zu haben, kann das zu einem Ungleichgewicht führen. Der Körper wird zu mehr Aktivität angeregt, obwohl ihm durch den geschwächten Darm die nötigen Ressourcen fehlen. Die Symptome verändern sich – der rote Faden reißt ab.
Deshalb ist es entscheidend, nicht nur Organe oder Laborwerte isoliert zu betrachten, sondern Zusammenhänge zu erkennen. Ursachen zu verstehen. Muster zu lesen.
Dafür braucht es natürlich spezialisiertes Fachwissen, doch genauso wichtig ist ein ganzheitlicher Blick. Ein tiefes Verständnis dafür, wie alles zusammenhängt. Und manchmal auch den Mut, über den Tellerrand hinauszudenken.
In meiner Arbeit ist der Darm oft der Einstieg in dieses Systemverständnis. Nicht, weil er immer die alleinige Ursache ist, sondern weil
sich in ihm sehr viel zeigt:
? Stressreaktionen
? hormonelle Ungleichgewichte
? Nährstoffdefizite
? entzündliche Prozesse
? Überforderung auf körperlicher und seelischer Ebene
Der Darm spricht, wenn wir lernen, ihm zuzuhören.